Therapeutische Techniken
Viele wissen, dass in der Psychotherapie das Gespräch eine große Rolle spielt. Sie fragen sich aber, was denn an einem therapeutischen Gespräch anders ist, als in einem Gespräch mit einem vertrauten Freund oder der Partnerin.
Eine interessante Frage, die in der Tat einiger Erläuterungen bedarf.
Im therapeutischen Gespräch werden eine ganze Reihe von Faktoren im Vergleich zu einer normalen Unterhaltung abgeändert.
Diese zum Teil drastischen Eingriffe in die Gesprächssituation sorgen für eine andere Form von zwischenmenschlichem Austausch, für eine sehr neue und zunächst ungewohnte und verunsichernde Form von "Unterhaltung".
Gerade diese besonderen Gesprächsbedingungen verschaffen dem Patienten aber Räume und Erkenntnisse, die er in normalen Gesprächen nicht erhalten kann.
Im folgenden möchte ich nun einige der wichtigsten Eingriffe in die Kommunikation und ihren Sinn beschreiben.
Die freie Assoziation
Normalerweise denken wir systematisch über ein Problem nach.
Wir zählen mögliche Ursachen auf, erläutern Beginn Entwicklung und Zuspitzung des Problems, so gut wir es können und bemühen uns dann, Änderungsmöglichkeiten zu finden.
Für viele Probleme ist das eine sehr sinnvolle Vorgehensweise.
Bei gefühlsmäßigen Schwierigkeiten und Konflikten, besonders wenn sie mit Grundhaltungen unserer Persönlichkeit oder mit unserer Lebensgeschichte verwoben sind, hilft diese Strategie aber oft nicht weiter.
Der Grund dafür ist, dass uns eine Reihe von Motiven unseres Handelns oder Nichthandelns (Hemmungen) nicht bewusst sind.
Um diesen unbewussten Hintergründen auf die Spur zu kommen, müssen wir uns einer ganz anderen, ungewohnten, unsystematischen Form des Denkens bedienen, die von Freud "freie Assoziation" genannt wurde und die sich seit nunmehr 100 Jahren bewährt hat.
Bei der freien Assoziation verzichten wir auf jedes systematische Wenn-Dann-Denken.
Wir überlassen uns Gedanken, Gefühlen und Fantasien, so wie sie in uns auftauchen und unabhängig davon, ob sie uns wichtig oder unwichtig, angenehm oder schmerzlich, moralisch korrekt oder verwerflich erscheinen mögen.
Es ist, als säßen 2 Reisende in einem Zug, der eine am Fenster, der andere weiter hinten im Abteil. Der am Fenster beschreibt dem anderen, was er draußen vorm Fenster vorbei gleiten sieht.
Da er nichts mit dem Blick festhalten kann, bleibt ihm nur, die vorbeigleitenden Eindrücke zu beschreiben, ohne einen bestimmten Eindruck herausgreifen oder eingehender betrachten zu können.
Ebenso lassen Patienten bei der freien Assoziation Gedanken, Gefühle und Fantasien vor ihrem inneren Bildschirm vorbei ziehen und schildern es dem Therapeuten.
Gerade das vorbehaltlose Vorbeiziehenlassen und Aussprechen von Vorstellungen, an denen wir unter normalen Umständen allzu rasch vorbeidenken,
führt erfahrungsgemäß allmählich dazu, jenen unbewussten Hintergründen immer näher zu kommen.
Meist dauert es einige Zeit, diese Technik zu erlernen.
Wer sie aber beherrscht, ist nach dem Ende seiner Therapie selbst in der Lage, eigenen emotionalen Problemen wesentlich besser auf den Grund zu gehen,
braucht also den Therapeuten nicht mehr dafür.
Die Couch
In einer psychoanalytischen Therapie legt sich der Patient auf eine bequeme und breite Couch.
Oft liegen dort Kissen oder Decken, die man so verwenden kann, dass man sich möglichst wohl, entspannt und auch ein Stück geborgen fühlt.
Der Therapeut sitzt hinter dem Kopf des Patienten, kann also von diesem nicht gesehen werden.
Wozu ist das gut? Da gibts gleich mehrere Gründe:
- Entspannung: Wenn wir uns innerlich unter Druck setzen, gelingt es uns meist nicht, psychische Probleme zu lösen.
Oft machen wir dadurch alles nur noch schlimmer und verkrampfen uns völlig.
Deshalb ist es wichtig, dass der Patient in einer Psychotherapie in einem möglichst entspannte Stimmung versetzt wird.
Dazu trägt das Liegen in einer behaglichen Situation sehr bei.
- Eigene Gedanken: Wenn sich zwei Menschen gegenüber sitzen, wie meist in einem normalen Gespräch, beobachten sie einander aufmerksam.
Sie registrieren, welches der angeschnittenen Themen und Gedanken das Gegenüber interessiert und welches nicht.
Oft genügt ein als "gelangweilt" gewerteter Blick oder das Verschwinden eines interessierten Lächelns, um uns einen Gedankengang nicht weiter verfolgen zu lassen.
Studien haben gezeigt, dass dieser Effekt auch bei bestem Willen nie ganz auszuschalten ist.
Deshalb wird in der Psychoanalyse der Blickkontakt "ausgeschaltet".
Es erleichtert dem Patienten, seinen wirklich eigenen Gedanken nachzugehen, unabhängig davon, ob sie den Therapeuten zu interessieren scheinen oder nicht.
- Analogie: Ein bisschen mutet die Situation an, wie die eines Kindes, das abends im Bett liegt und Vater oder Mutter von seinem Tag erzählt.
Auch das ist beabsichtig. Immerhin soll der Patient in der Therapie ein Stück weit in die Kindheit zurück geführt werden, in die Zeit der Prägung seines Charakters.
Um Hemmungen, Ängste oder grundlegende Haltungen zu verändern, die fest in unseren Charakter eingewoben sind, ist es notwendig, bis zu den Situationen zurück zu gehen,
in denen wir sie uns angeeignet haben.
Hier führen Bezüge oft in die Kindheit zurück, zu Punkten, an denen wir Ängste oder Kränkungen nur unzureichend haben verarbeiten können.
Das etwas kindliche Liegen auf der Couch erleichtert es, zu diesen Punkten zu gelangen, aber auch, uns von dort in eine andere Richtung weiter zu entwickeln.
Anmerkung: Einigen Patienten, besonders solchen mit mittelgradigen oder schweren psychischen Erkrankungen, macht das Liegen auf der Couch so viel Angst, dass die Behandlung lange Zeit im Sitzen statt findet.
Dies sind zum Beispiel Patienten mit einem Borderline-Syndrom, bei dem sehr häufig massive Gewalterfahrungen in der Lebensgeschichte vorgekommen sind.
Diese Menschen haben so viele schlechte Erfahrungen machen müssen, dass sie lange auch dem Therapeuten nicht trauen und ihn genau im Blick haben müssen.
Bei diesen Patienten können einige der hier beschriebenen Veränderungen der Gesprächssituation gar nicht oder nur teilweise vollzogen werden.
Deshalb nennt man diese Behandlungen auch "modifizierte (veränderte) psychoanalytische Therapien".
Symbolisierung
Viele Menschen haben sicher schon die Erfahrung gemacht, dass sich Gefühle, innere Stimmungen oder körperliche Befindlichkeiten nur schwer oder gar nicht in Worte fassen lassen.
Für manche inneren Zustände verfügt unsere Sprache einfach über keine Worte.
Teilweise gibt es zwar Worte, aber diese beschreiben ein Erleben nur sehr unzureichend oder verallgemeinernd.
Um diesem Problem abzuhelfen, nutzt Psychotherapie das sog. bildhafte Denken.
Es hat die Menschheit schon oft voran gebracht. Eine Geschichte kennen viele aus dem Physikunterricht:
Newton zermarterte sich über Wochen den Kopf, ohne durch systematisches Denken und Ableitungen zu einem Ergebnis zu kommen.
Er verordnete sich eine Pause und setzte sich in seinen Garten, um zu entspannen.
Als er dort einen Apfel vom Baum fallen sah, kam ihm die Erleuchtung zum Gravitationsgesetz und er hatte seine Formel.
Ähnlich verhielt es sich z.B. mit der Strukturformel für das Medikament Veronal, dass durch schöne Eindrücke auf einer Reise nach Verona entdeckt wurde, als sich der Forscher gerade dem Anblick der Natur hingegeben hatte.
In der Psychotherapie nutzen wir deshalb Fantasien, Träume oder auch Märchen aus.
Sie helfen dem Patienten, ein bestimmtes Erleben in all seiner Komplexität und Widersprüchlichkeit in einem Bild darzustellen.
Sie helfen aber auch, Auswege aus scheinbar unlösbaren Konflikten zu finden.
So enthält jedes Märchen einen Lösungsvorschlag für den in ihm abgebildeten Konflikt.
Aschenputtels Konflikt etwa ist sein starkes Minderwertigkeitsgefühl als Frau. Nur in schönen Kleidern traut sie sich vor die Augen ihres Prinzen, fürchtet aber nichts mehr, als in ihrer Asche von ihm gesehen zu werden.
Das Märchen zeigt über mehrere Symbole einen Ausweg aus dieser inneren Schwierigkeit.
Träume dienen nicht nur der Verarbeitung von Vergangenem, sondern auch dazu, uns mehr oder weniger angemessen auf Zukünftiges vorzubereiten.
Wenn ich etwa vor einer Reise träume, am Flughafen ohne Tickets da zu stehen und dadurch den Urlaub zu verderben, werde ich am Morgen als erstes prüfen, ob ich die Tickets auch wirklich eingesteckt habe.
Manche Menschen haben große Schwierigkeiten damit, weil sie keine Fantasien entwickeln können und sich nie an Träume erinnern.
Besonders für sie ist eine Technik hilfreich, die wir katathymes (gefühlsbegleitetes) Bilderleben nennen.
Dabei führt der Therapeut eine Entspannungsübung durch.
Dann bittet er den Patienten, sich ein sehr einfaches Motiv vorzustellen, etwa einen Baum.
Nach einigen solcher Übungen gelingt es dann sehr vielen, einen Zugang zum bildhaften Denken zu bekommen.
Die Fähigkeit, durch bildhaftes Denken Probleme zu lösen, um die wir zuvor vergeblich herum gegrübelt hatten, nimmt ein Patient auch aus der Therapie mit.
Er benötigt dazu den Therapeuten immer weniger, und irgendwann gar nicht mehr, ähnlich wie bei der freien Assoziation.
Insofern helfen diese Techniken einem Patienten innerhalb der Therapie.
Sie verhelfen ihm aber auch dazu, sich selbst und seine Schwierigkeiten immer besser allein zu verstehen und dadurch einmal unabhängig vom Therapeuten zu werden und ohne Therapie zurecht zu kommen.
Die therapeutische Beziehung
Die Beziehung zwischen dem Psychotherapeuten und dem Patienten spielt eine sehr wichtige Rolle.
Sie sollte am Beginn von gegenseitigem Vertrauen und einem gewissen Mindestmaß an Sympathie gekennzeichnet sein, damit sich der Patient überhaupt öffnen
und über Inhalte sprechen kann, die schmerzlich oder schambesetzt sind, über die er also nur mit sehr wenigen Menschen überhaupt sprechen wird.
Im Verlauf der Therapie wird die therapeutische Beziehung aber auch immer wieder einmal zum Spiegel von Konflikten.
Der amerikanische Psychotherapeut Watzlawik hat anhand einer Geschichte versucht, zu veranschaulichen, worum es geht:
Ein Mann braucht am Samstag Nachmittag einen Hammer, um ein Bild aufzuhängen und beschließt, diesen vom Herrn Müller aus dem 5. Stock borgen zu gehen.
Während er nun die Treppen hinauf steigt, gehen ihm allerhand Gedanken durch den Kopf.
"Vielleicht hält Herr Müller gerade einen Mittagsschlaf und fühlt sich gestört von mir, oder er hat Besuch.
Möglicherweise wird er abfällig von mir denken, weil ich nicht einmal einen Hammer zu Hause habe.
Er macht so einen handwerklichen Eindruck, so etwas könnte ihm sicher nie passieren, dass er ein Werkzeug borgen muss.
Überhaupt scheint er mich nicht sehr zu schätzen, weil er manchmal so etwas komisch kuckt, wenn wir uns grüßen."
Oben klingelt er und sagt voll Grimm: "Ach Herr Müller, behalten Sie doch Ihren blöden Hammer für sich!"
Unsere Beziehungen zu anderen Menschen werden nicht nur dadurch bestimmt, wie die anderen "wirklich" und "objektiv" sind,
sondern auch durch unsere Vorstellungen, Fantasien und Gedanken über sie.
In der Psychotherapie steht dem Patienten mehr Raum als irgendwo sonst zur Verfügung,
um über diese Fantasien zu sprechen und sich über, teilweise in Bruchteilen einer Sekunde völlig automatisiert ablaufende Vorstellungs- und Gedankenketten klarer zu werden.
Am einfachsten geschieht dies innerhalb der therapeutischen Beziehung selbst.
Denn von seinen Beziehungen "draußen" kann der Patient letztlich erzählen, was er will.
Bei dem, was zwischen Patient und Therapeut geschieht, ist der Therapeut unmittelbar dabei, kann also aus seiner Sicht viel besser mit reden.
Sollte sich ein Patient Fragen über seinen Therapeuten stellen, sich wundern, warum er etwas tut oder lässt, oder sich gar ärgern,
tut er in seinem eigenen Interesse gut daran, den Mut aufzubringen, es anzusprechen.
Gerade bei Ärger über den Therapeuten liegt es nahe, die Therapie abzubrechen.
Gerade bei Ärger ist der Patient erfahrungsgemäß jedoch in seiner Beziehungsgestaltung zum Therapeuten
an einer sehr wichtigen Stelle angelangt und sollte eben deswegen die Therapie gerade hier nicht abbrechen,
sondern das bestehende Problem freimütig ansprechen.
Der Psychotherapeut wird ihm antworten, aber - was manche Patienten verwirrt - nicht sofort.
Zunächst wird er sich nach Vermutungen und Fantasien des Patienten erkundigen, warum er sich so oder so verhalten hat.
Täte er das nicht, sondern würde er seinem natürlichen Impuls folgen und sofort auf die Frage antworten, wie er es privat macht,
dann würde er dem Patienten den Raum nehmen, um sich über seine Beziehungsfantasien und Einstellungen bewusst zu werden.
Auch hier handelt es sich also um eine bewusste Veränderung einer normalen Kommunikationssituation.