Wirksamkeit von Psychotherapie
Einen aktuellen Artikel über Forschungen zum Thema Wirksamkeit von Psychotherapie finden Sie im
Deutschen Ärzteblatt (PP 3, Ausgabe September 2004, Seite 421):
Psychotherapiemethoden im Vergleich: Längere Behandlungen – bessere Ergebnisse
"... Mit einer Psychotherapie verbessern sich häufig nicht nur die Zielproblematik, sondern auch psychische Allgemeinfunktionen. Dazu zählen etwa Beziehungsfähigkeit,
Arbeitsproduktivität, körperliches Befinden und Lebensfreude. Auch die Fähigkeit zur Stressbewältigung, die persönliche Entwicklung, Verständnis für andere,
Stimmungslage und Selbstwertgefühl werden zu den Allgemeinfunktionen gerechnet. ..."
Anerkannte Psychotherapie-Verfahren
Ähnlich wie neue Medikamente müssen auch psychotherapeutische Verfahren durch Studien ihre Wirksamkeit belegen,
ehe sie als wissenschaftlich anerkannt, für die Krankenbehandlung zugelassen und von den Krankenkassen bezahlt werden.
Der
Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie
ist in Deutschland das Gremium, das Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren prüft.
Er ist der Bundesärztekammer und der Bundespsychotherapeutenkammer beigeordnet und hat eine ausgesprochen anspruchsvolle Liste
von Kriterien definiert, die für die Anerkennung von Therapieverfahren wissenschaftlich belegt werden müssen.
Folgende Psychotherapieverfahren gelten als wissenschaftlich fundiert und werden von den Krankenkassen finanziert:
- Psychoanalytisch orientierte Verfahren:
- psychoanalytische Langzeittherapie: Sie zielt ab auf eine Veränderung von zentralen Persönlichkeitsbereichen oder Lebenshaltungen,
sofern diese für eine psychische Störung verantwortlich sind.
Die Kassen bezahlen hier im Regelfall bis zu 240, maximal 300 Sitzungen, und bis zu 3 Therapiestunden pro Woche.
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Sie befasst sich hingegen mit einem aktuellen Konflikt oder Problem
und versucht, dessen unbewusste Hintergründe aufzuklären.
Die Kassen übernehmen im Regelfall 80, maximal 100 Sitzungen bei 1 Wochenstunde.
- Verhaltenstherapie: Problematische Zusammenhänge im Denken und Verhalten werden systematisch aufgeklärt und verlernt.
Anschließend werden neue Denk- und Verhaltensmuster erlernt.
Die Kassen bezahlen im Regelfall 60, maximal 80 Sitzungen bei 1 Stunde in der Woche.
Darüber hinaus wurde die "Gesprächspsychotherapie" als wissenschaftlich anerkannt.
Sie wurde aber bisher nicht zur Krankenbehandlung zugelassen.
Nicht alle Psychotherapien, in denen u.a. gesprochen wird, sind Gesprächstherapien.
Es handelt sich bei der GT um ein spezielles Therapieverfahren, bei dem ganz bestimmte Gesprächstechniken eingesetzt werden.
Nicht anerkannte Therapieverfahren
Wenn ein Therapieverfahren nicht anerkannt ist, heißt das nicht, dass es nicht wirksam ist, sondern nur,
dass es seine Wirksamkeit noch nicht ausreichend nachweisen konnte.
Die systemische Familientherapie etwa konnte ihre Wirksamkeit auch für einen eingeschränkten Anwendungsbereich bisher nicht belegen.
Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie bezeichnet sie jedoch als "vielversprechendes Verfahren",
besonders bei Kindern und Jugendlichen und angesichts der sehr kurzen Behandlungszeiten.
Die Psychodrama-Therapie hat zwar 50 Studien vorgelegt, die aber alle nicht die (hohen) Mindestanforderungen für
Wirksamkeitsstudien erfüllten, so dass auch sie bisher nicht anerkannt werden konnte.
Wer eine Psychotherapie in einem nicht anerkannten Verfahren macht, geht ein gewisses Risiko ein,
vergleichbar mit der Einnahme eines Medikaments, dass in Deutschland noch nicht zugelassen ist.
Sie kann helfen, und dafür sprechen eine Reihe von Patientenberichten z.B. über systemische, Psychodrama- oder Gestalttherapien.
Sie kann keinen Effekt haben, oder in manchen Fällen auch unerwünschte Wirkungen erzielen.
Wirksamkeit psychoanalytischer Therapien
Im "Forum der Psychoanalyse" Band 20, Heft 1/2004 (Springer- Verlag) wurden auf 174 Seiten die aktuellsten Wirksamkeitsstudien
für psychoanalytisch orientierte Therapien veröffentlicht, wie sie im Herbst 2003 dem Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie vorgelegt worden sind.
Die dort vorgestellten Studien, etwa die aus
München, Göttingen, Gießen, Stuttgart und Heidelberg
ließen eine bedeutsame Verbesserung der Symptomatik erkennen.
Besonders bahnbrechend war die "Praxisstudie Analytische Langzeitpsychotherapie (PAL)",
die von Prof. Rudolf und anderen Wissenschaftlern der Unikliniken Heidelberg und Berlin von 1979 bis 2002 durchgeführt wurde.
Darin wurden die beiden Formen psychoanalytisch orientierter Therapien untersucht,
nämlich Psychoanalysen im engeren Sinne, also Langzeittherapien von bis zu 240 Sitzungen, mit 2-3 Stunden pro Woche einerseits,
und (tiefenpsychologisch fundierte) Psychotherapien mit bis zu 80 Sitzungen bei 1 Wochenstunde andererseits.
Die Patienten, die in die Studie einbezogen wurden, litten unter mittelgradigen psychischen Krankheiten, nämlich unter Persönlichkeitsstörungen.
Zur Auswertung wurden Selbsteinschätzungen der Patienten, Beurteilungen der Therapeuten,
sowie unbeteiligter Wissenschaftler heran gezogen, aber auch Daten der jeweiligen Krankenkasse,
wie Arbeitsunfähigkeitszeiten, Krankenhausaufenthalte, Medikamentenverordnungen u.ä.
Es ergaben sich Symptomverbesserungen von 60% bei den Psychotherapien und 72% bei den Psychoanalysen.
Beide Therapieformen sind also hilfreich.
Neu war bei der PAL, dass sie mit sehr aufwändigen Methoden eine Umstrukturierung der Persönlichkeit gemessen hat.
Ergebnis: Psychoanalyse führte bei 60% der Patienten zu sehr deutlichen Veränderungen in wichtigen Bereichen des Charakters
(z.B. bessere Leistungs- und Beziehungsfähigkeit, mehr Freude und Genußerleben),
jedoch nur bei 11% der kürzeren Psychotherapien.
Anders ausgedrückt: Wie fiebersenkende Medikamente nur die Symptome
einer Grippe bekämpfen, aber nicht deren Ursache, so
dringen auch kurzzeitige Psychotherapien nicht zu den
Wurzeln eines Seelenleidens vor. Sie können zwar
Depressionen, Angstattacken, Sucht- oder
Beziehungsstörungen mildern.
Aber nur langfristige Psychoanalysen verhindern dauerhaft, dass eine beseitigte Störung einige Zeit später wieder auftritt, vielleicht mit einem anderen Gesicht,
weil sie grundsätzliche Lebenseinstellungen, Bewältigungsmechanismen, Möglichkeiten der Verarbeitung von Gefühlen und Konflikten,
sowie die Wahrnehmung der eigenen Person und des eigenen Wertes dauerhaft verändern.
Deshalb sind sie gerade für schwerere psychische Erkrankungen geeignet.